Die Traurigkeit ~etwas zum Nachdenken~
31.05.2008 20:30
Es war eine kleine Frau, die den staubigen Feldweg entlang kam.
Sie war wohl schon recht alt, doch ihr
Gang war leicht und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines
unbekümmerten Mädchens.
Bei einer zusammengekauerten Gestalt blieb sie stehen und sah hinunter.
Sie konnte nicht viel erkennen.
Das Wesen, das da im Staub auf dem Wege saß, schien fast körperlos. Sie
erinnerte an eine graue Flanelldecke
mit menschlichen Konturen. Die kleine Frau bückte sich ein wenig und
fragte: „Wer bist du?“ Zwei fast leblose
Augen blickten müde auf. „Ich? Ich bin die Traurigkeit“, flüsterte die
Stimme stockend und leise, dass sie kaum zu
hören war. „Ach, die Traurigkeit!“ rief die kleine Frau erfreut aus,
als würde sie eine alte Bekannte grüßen.
„Du kennst mich?“ fragte die Traurigkeit misstrauisch. „Natürlich kenne
ich dich! Immer wieder hast du mich ein
Stück des Weges begleitet.“ „Ja, aber“, argwöhnte die Traurigkeit,
„warum fürchtest du dich dann nicht vor mir?
Hast du denn keine Angst?“
„Warum sollte ich vor dir davon laufen, meine Liebe? Du weißt doch
selbst nur zu gut, dass du jeden Flüchtling
einholst. Aber was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos
aus?“
„Ich ....bin traurig“, antwortete die graue Gestalt mit brüchiger
Stimme.
Die kleine alte Frau setzte sich zu ihr.
„Traurig bist du also“, sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem
Kopf.
„Erzähl mir doch, was dich so bedrückt.“
Die Traurigkeit seufzte tief. Solltet ihr diesmal wirklich jemand
zuhören wollen? Wie oft hatte sie sich das schon
gewünscht. „Ach weißt du.“ Begann sie zögernd und äußerst verwundert,
„es ist so, dass mich einfach niemand mag.
Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für
eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen.
Aber wenn ich zu ihnen kam, schreckten sie zurück. Sie fürchten sich
vor mir und meiden mich wie die Pest.“
Die Traurigkeit schluckte schwer. „Sie haben Sätze erfunden, mit denen
sie mich bannen wollen. Sie sagen:
Papperlapapp, das Leben ist heiter. Und ihr falsches Lachen führt zu
Magenkrämpfen und Atemnot.
Sie sagen: gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie
Herzschmerzen.
Sie sagen: man muss sich nur zusammenreißen. Und spüren das Reißen in den
Schultern und im Rücken.
Sie sagen: nur Schwächlinge weinen. Und die aufgestauten Tränen
sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben
sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen.“
„Ohja“, bestätigte die alte Frau, „solche Menschen sind mir schon oft
begegnet.“
Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. „Und dabei
will ich den Menschen doch nur helfen.
Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich
helfe ihnen , ein Nest zu bauen, um ihre
Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut.
Manches Leid bricht wieder auf, wie eine
schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh. Aber nur, wer die
Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen
weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar
nicht, dass ich bei ihnen bin. Statt dessen
schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen
sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu.“
Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und
schließlich ganz verzweifelt.
Die kleine Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre
Arme.
Wie weich und sanft sie sich anfühlte,
dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. „Weine nur,
Traurigkeit“, flüsterte sie liebevoll, „ruh dich aus,
damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr
alleine wandern. Ich werde dich begleiten,
damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt.“
Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und
betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin. „Aber...aber –
wer bist du eigentlich?“
„Ich?“ , sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd, und dann lächelte sie
wieder so unbekümmert wie ein kleines Mädchen.
„Ich bin die Hoffnung.“
Sie war wohl schon recht alt, doch ihr
Gang war leicht und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines
unbekümmerten Mädchens.
Bei einer zusammengekauerten Gestalt blieb sie stehen und sah hinunter.
Sie konnte nicht viel erkennen.
Das Wesen, das da im Staub auf dem Wege saß, schien fast körperlos. Sie
erinnerte an eine graue Flanelldecke
mit menschlichen Konturen. Die kleine Frau bückte sich ein wenig und
fragte: „Wer bist du?“ Zwei fast leblose
Augen blickten müde auf. „Ich? Ich bin die Traurigkeit“, flüsterte die
Stimme stockend und leise, dass sie kaum zu
hören war. „Ach, die Traurigkeit!“ rief die kleine Frau erfreut aus,
als würde sie eine alte Bekannte grüßen.
„Du kennst mich?“ fragte die Traurigkeit misstrauisch. „Natürlich kenne
ich dich! Immer wieder hast du mich ein
Stück des Weges begleitet.“ „Ja, aber“, argwöhnte die Traurigkeit,
„warum fürchtest du dich dann nicht vor mir?
Hast du denn keine Angst?“
„Warum sollte ich vor dir davon laufen, meine Liebe? Du weißt doch
selbst nur zu gut, dass du jeden Flüchtling
einholst. Aber was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos
aus?“
„Ich ....bin traurig“, antwortete die graue Gestalt mit brüchiger
Stimme.
Die kleine alte Frau setzte sich zu ihr.
„Traurig bist du also“, sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem
Kopf.
„Erzähl mir doch, was dich so bedrückt.“
Die Traurigkeit seufzte tief. Solltet ihr diesmal wirklich jemand
zuhören wollen? Wie oft hatte sie sich das schon
gewünscht. „Ach weißt du.“ Begann sie zögernd und äußerst verwundert,
„es ist so, dass mich einfach niemand mag.
Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für
eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen.
Aber wenn ich zu ihnen kam, schreckten sie zurück. Sie fürchten sich
vor mir und meiden mich wie die Pest.“
Die Traurigkeit schluckte schwer. „Sie haben Sätze erfunden, mit denen
sie mich bannen wollen. Sie sagen:
Papperlapapp, das Leben ist heiter. Und ihr falsches Lachen führt zu
Magenkrämpfen und Atemnot.
Sie sagen: gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie
Herzschmerzen.
Sie sagen: man muss sich nur zusammenreißen. Und spüren das Reißen in den
Schultern und im Rücken.
Sie sagen: nur Schwächlinge weinen. Und die aufgestauten Tränen
sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben
sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen.“
„Ohja“, bestätigte die alte Frau, „solche Menschen sind mir schon oft
begegnet.“
Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. „Und dabei
will ich den Menschen doch nur helfen.
Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich
helfe ihnen , ein Nest zu bauen, um ihre
Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut.
Manches Leid bricht wieder auf, wie eine
schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh. Aber nur, wer die
Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen
weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar
nicht, dass ich bei ihnen bin. Statt dessen
schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen
sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu.“
Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und
schließlich ganz verzweifelt.
Die kleine Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre
Arme.
Wie weich und sanft sie sich anfühlte,
dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. „Weine nur,
Traurigkeit“, flüsterte sie liebevoll, „ruh dich aus,
damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr
alleine wandern. Ich werde dich begleiten,
damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt.“
Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und
betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin. „Aber...aber –
wer bist du eigentlich?“
„Ich?“ , sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd, und dann lächelte sie
wieder so unbekümmert wie ein kleines Mädchen.
„Ich bin die Hoffnung.“
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